Vom Klassenfeind beinahe entmannt


Idyllisch sind die kleinen vorpommerschen Städte. Und meist voller Ruhe. Mit dem zunehmenden Einwohnerschwund, der mit der Arbeitslosigkeit einher geht, scheint mehr und mehr Schläfrigkeit in die Orte einzuziehen. In dem kleinen Städtchen mit dem erdachten Namen Rubenow sind nicht nur abends die Strassen wie leergefegt. Aber in den Kneipen ist Leben wie in alten Zeiten. Nur, dass an den Stammtischen heute meist andere Gäste sitzen wie einst.
„Supen daun se alle, ob tau DDR-Tieden orrer hüt ,“ meint der olle Kreikenbaum, der seit mindestens 25 Jahren hier einkehrt. Und er fährt fort: „Un politisiert ward ümmer. Dor lechst manchmal de Oren an öwer dat, wat vertellt ward un öwer dat, wat sich de Kierls herutnähmen. Da kannst Minschen kennen liern.“
An einen früheren Gast erinnert sich Kreikenbaum besonders gut. Nach 1989, also nach der Wende, dauerte es nicht lange, da zog der Mann mit seiner Frau in den Westen, und niemand hörte wieder etwas von ihm. Vor der Wende hatte er in Rubenow eine wichtige politische Funktion inne und saß auch gelegentlich mit seinen Genossen in jener Kneipe beim Bier, in der auch Kreikenbaum zu Gast war. Einmal hatte er wohl zuviel getrunken. Kurz vor Mitternacht verliess er schwankend das Restaurant. Am nächsten Tag fehlte er an seinem Arbeitsplatz in der Parteikreisleitung. Besorgt machte sich einer seiner Kollegen auf den Weg zu ihm nach Hause, um den Grund dafür zu erfahren. Erschüttert vernahm und sah er, was geschehen war. Mit bleichem , schmerzverzehrten Gesicht lag der Vermisste mit gespreizten Beinen im Bett, mit einer Eisblase im Schritt. Mühsam berichtete er, was geschehen war. Danach war er auf dem Nachhauseweg plötzlich in einer dunklen Ecke von Unbekannten überfallen worden. Ehe er überhaupt ahnen konnte, was sie von ihm wollten, rissen sie ihm die Hose herunter, fuchtelten mit einem Messer herum und griffen nach seinem Gemächt. „Weiß du, Genosse, was das für welche waren?“, fragte er seinen staunenden Besucher, gab sich und ihm aber gleich selbst die Antwort: „Das waren Klassenfeinde, die mich entmannen wollten !“ Gott sei Dank hatte er sich aber rechtzeitig losreißen und fliehen , aber nicht vermeiden können, dass er einige schmerzhafte Kratz- und vielleicht auch Schnittwunden an seinem besten Stück davon trug, das er jetzt kühlte und das ihm nicht erlaubte, einen Schritt vor den anderen zu setzen.
Diese Information war natürlich Anlass zu spontanen staatlichen Sicherheitsreaktionen in Rubenow. Polizei und sonstige Sicherheitskräfte begaben sich in die Spur, die jedoch keine war, wie sich bald herausstellte. Der tüchtige Parteifunktionär hatte faustdick gelogen. Als er die Kneipe verlassen hatte, wollte er nämlich den Nachhauseweg abkürzen und war quer über Mauern und Zäune gestiegen. Dabei waren die scharfen Spitzen eines Stacheldrahtzaunes durch die Hose zu jener empfindsamen Stelle seiner Männlichkeit vorgedrungen, die so große Schmerzen bereiten kann. Klever hatte er das Geschehen ummünzen und daraus Kapital für seine Karriere schlagen wollen, aber es hatte nicht geklappt.